Der folgende Artikel wurde in der Persönlich-Ausgabe vom 5. Mai 2024 publiziert. Jochen Witte (IGEM-Vorstand bis Mitte Mai 2024, Executive Director bei The Nunatak Group Switzerland AG und Projektleiter OneID) teilt seine Ansichten über Strategien für Schweizer Werbetreibende auf dem Weg in eine Post-Cookie-Zukunft.
In einer Welt, in der die Privatsphäre der Nutzerinnen und Nutzer immer mehr in den Fokus rückt, stehen Werbetreibende vor der Herausforderung, ihre Zielgruppen effektiv zu erreichen, ohne auf die noch immer allgegenwärtigen 3rd-Party-Cookies angewiesen zu sein. Diese Entwicklung verlangt auch in der Schweiz nach innovativen Ansätzen im Online-Marketing.
Eine Studie der UK Competition Authority(CMA) warf schon im Jahr 2020 Licht auf die Dringlichkeit der Situation: Bis zu 70 Prozentdes Online-Umsatzes von klassischen Verlagen könnten in einer Post-Cookie-Ära potenziell verloren gehen1.
Diese Zahl unterstreicht die Notwendigkeit für Publisher, sich anzupassen und neue, effektive Werbemethoden zu testen und anzubieten. Dabei ist klar, dass es keinen universellen Ansatz geben wird; vielmehr bedarf es einer Vielzahl von Strategien, die sich in Konzeption und Anwendung deutlich unterscheiden und sich insbesondere in ihrem Nutzen für Werbetreibende stark differenzieren.
Contextual Advertising, oder kontextbezogene Werbung, verspricht eine Renaissance. Diese Technik, die Werbeinhalte basierend auf dem Kontext der Seite oder den Inhalten ausliefert, die ein Nutzer/eine Nutzerin gerade ansieht, erfordert keine 3rd-Party-Cookies und ist entsprechend datenschutzrechtlich unbedenklich. Allerdings ist aufgrund der fehlenden Personalisierung und der erschwerten Messung schon jetzt sicher, dass kontextbasierte Werbung allein nicht ausreicht, um weiter effektiv Online-Werbung machen zu können.
Privacy-enhancing Technologies, wie Googles Privacy Sandbox, bieten einen Rahmen, um Nutzerdaten zu schützen, während gleichzeitig relevante Werbung ermöglicht wird. Diese Technologien befinden sich noch in der Entwicklung, versprechen aber eine Balance zwischen Nutzer-Privatsphäre und zielgerichteter Werbung. Nicht wenige Marktteilnehmer befürchten aber eine weitere Verschiebung der Marktmacht in Richtung Google, denn die Google Privacy Sandbox verlagert signifikant viel Logik der Werbeauslieferung in den Browser des Nutzers /der Nutzerin und damit in eine weitere Technologie, die zu einem grossen Anteil durch den Technologie-Riesen kontrolliert wird.
Die Nutzung von First-Party-Daten, also Daten, die direkt von Unternehmen gesammelt werden, bieten eine direkte Verbindung zum Kunden, ohne auf Drittanbieter angewiesen zu sein. Publisher und Werbekunden holen von ihren Nutzerinnen und Nutzern die entsprechenden Einwilligungen zur datenschutzrechtlich sicheren Personalisierung von Werbung ein und können so sehr gezielt Werbung aussteuern, messen und optimieren. Die Nutzung von First-Party-Daten gilt als vielversprechendster Kandidat für die Optimierung von Online-Werbung in der PostCookie-Welt, bringt aber auch einige Herausforderungen mit sich, zum Beispiel:
Skalierung: Eine Vielzahl von (Technologie-)Anbietern konkurrieren auch in diesem Bereich. Gerade in der Schweiz können aufgrund der geringen Grösse des Marktes und der sprachlichen Fragmentierung nicht beliebig viele Lösungen unabhängig voneinander funktionieren und gleichzeitig eine für Werbekunden ausreichende Grösse mitbringen, so dass diese die Lösung effektiv nutzen können.
Nutzerakzeptanz: Aus Perspektive des EndNutzers/ der End-Nutzerin kann der Eindruck entstehen, dass nur alter Wein in neuen Schläuchen serviert und weiter unverantwortlich mit Nutzerdaten umgegangen wird. Dies wird zum Beispiel auch durch die Vielzahl der standardmässig aktivierten Technologieanbieter in den Cookie-Bannern vieler Publisher vermittelt.
Getragen von den führenden Schweizer Verlagen und ihren Vermarktern Audienzz, CH Media, Goldbach und Ringier Advertising, setzt OneID – die sichere Werbe-ID – genau bei diesen Herausforderungen an. Mit OneID soll eine gemeinsame digitale Werbe-ID für den Schweizer Markt etabliert werden, die es Werbetreibenden erlaubt, Schweizer Nutzerinnen und Nutzer effizient und ohne Überschneidungen über verschiedene Publisher hinweg anzusprechen. Ein Vorteil soll zum Beispiel das publisherübergreifende Frequency-Capping sein, welches die Häufigkeit, mit der eine Anzeige einem Nutzer/ einer Nutzerin gezeigt wird, begrenzt. OneID soll zu einer transparenten, sicheren Werbelandschaft beitragen, die Datenschutz ernst nimmt und gleichzeitig eine effektive Zielgruppenansprache ermöglicht. Die Initiative möchte den wichtigen Dialog zwischen Publishern und End-Nutzern und-Nutzerinnen rund um das Thema «Datennutzung» fördern und aufzeigen, dass ein sinnvoller Kompromiss zwischen den Anforderungen an Privatsphäre einerseits und der Wertsteigerung der Werbeprodukte Schweizer Publisher andererseits möglich ist. Dieser ist dringend notwendig, um weiter qualitativ hochwertige Produkte und Inhalte anbieten zu können und sich nicht weiter in die Abhängigkeit von Technologie-Plattformen zu begeben. Ab Mai 2024 wird OneID für Werbekunden verfügbar sein und verspricht, ein neues Kapitel in der digitalen Werbung der Schweiz aufzuschlagen.
Die Werbebranche steht vor signifikanten Änderungen mit grosser Tragweite. Die Ablösung von Cookies erfordert neue Denkweisen und Technologien. Während Contextual Advertising und Privacy-enhancing Technologies wie zum Beispiel die Google Privacy Sandbox zwar vielversprechende, aber nicht vollständige Ansätze darstellen, soll die Nutzung von First-Party-Daten über eine gemeinsame Werbe-ID – die OneID – ein wegweisendes Modell für die Schweiz sein. Schweizer Werbetreibende und Publisher müssen zusammenarbeiten, um den digitalen Werbemarkt in eine Zukunft zu führen, die die Privatsphäre respektiert und gleichzeitig den notwendigen Nutzen für alle Beteiligten liefert.
1 Quelle: UK competition authority CMA, Online platforms and digital advertising Market study final report 1 July 2020